Landesarbeitsgemeinschaft
Kunst und Medien NRW e.V.

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Ich kann in meiner Kunst verschwinden

Gladbeck
28. Februar 2019

Wieviele kunstschaffende Frauen fallen dir spontan ein? Öh...
In Kunstunterricht, Museen, Galerien und in der öffentlichen Wahrnehmung sind Frauen immer noch unterrepräsentiert und weniger bekannt als ihre männlichen Kollegen. In wöchentlichen Workshops lernten Mädchen mit und ohne Fluchterfahrung internationale Künstlerinnen kennen, die sich u.a. mit Fotografie beschäftigt haben.

Ich kann in meiner Kunst verschwinden - Fotografie

Fotografie

Projektverlauf
Zunächst ging es darum, dass die Mädchen sich untereinander, das Fotoprojekt und die Projektleiterin kennenlernten. Die Mädchen haben auf großem Papier ihre Umrisse gemalt und anschließend in die Umrisse Dinge hineingemalt, die ihnen wichtig sind, zum Beispiel Familie, Freund*innen, Hobbies wie Lesen oder Fußball oder die Sprachen, die die Mädchen sprechen und Orte, die sie gerne bereisen würden. Bei einem gemeinsamen „Museumsgang“ hat sich jedes Mädchen, anhand ihres selbstgestalteten Plakats, vorgestellt. Im darauf folgenden Termin wurden die Arbeiten der Fotokünstlerin Aino Kannisto vorgestellt. Die Mädchen konnten selbst die Bilder interpretieren und beschreiben, was sie sehen und fühlen.
Danach haben die Mädchen die Möglichkeit erhalten, sich selbst als Fotografinnen auszuprobieren. Mit drei Kameras fand ein Shooting draußen statt. Die Mädchen entdeckten in der Natur die Schönheit des Herbstes und ließen sich vom Herbstlaub inspirieren. Diese Inspiration brachte sie auch auf viele weitere Ideen und sie hatten sehr viel Spaß dabei, als Fotografinnen unterwegs zu sein und sich kreativ zu entdecken.
Ein Ausstellungsbesuch in der Galerie m in Bochum gehörte ebenfalls zum Projekt. Dieser war für die Teilnehmerinnen ein wichtiges Ereignis, da dies für einige der Mädchen der erste Besuch in einem musealen Kontext war. Die Räume imponierten zunächst, einigen Teilnehmerinnen konnte man anmerken, wie beeindruckt und bewegt sie waren. In der Galerie wurden Bilder von Aino Kannisto ausgestellt, sie konnten nun die Originale sehen. Beim Betrachten der Bilder fielen den Mädchen unterschiedliche Gefühlszustände und Stimmungen auf. Die Bilder laden dazu ein, sich selbst in die Szenen hineinzuversetzen. Viele Mädchen hatten eigene Interpretationen zu den Bildern. Ein Mädchen sagte sofort: „So sehe ich aus, wenn ich müde von der Schule komme.“
Das Entdecken der Kunst in der Galerie inspirierte die Mädchen sehr und sie hatten den gemeinsamen Wunsch, in ihren Fotografien Emotionen zum Ausdruck zu bringen. Die Mädchen haben in Teamarbeit ihre Bild-Ideen umgesetzt, es wurde geweint, geschlafen, gestritten, geklebt und fotografiert.
Die Künstlerinnen Sibylle Bergemann und Hannah Höch wurden ebenfalls mit ihren Biografien und künstlerischen Arbeiten als Schwerpunkt vorgestellt. Bei Sibylle Bergemann ging es darum, zu schauen, wie kann ich einen Menschen anhand von Gegenständen beschreiben. Die Mädchen haben Polaroid Bilder gemacht und sich gegenseitig durch Gegenstände als Personen beschrieben.
Am Ende des Projektes wurde gemeinsam eine Ausstellung kuratiert, die mehrere Wochen in der Stadtbücherei Gladbeck gezeigt wurde. Die Mädchen waren an dem Prozess der Bildauswahl beteiligt. Sie entschieden in welcher Größe und in welcher Abfolge die Bilder gezeigt werden sollten. Neben der inhaltlichen Auseinandersetzung spielten Teambuilding und Gleichberechtigung zwischen den Mädchen eine wichtige Rolle.

Fazit
Für die Mädchen war dieses Fotoprojekt etwas ganz Besonderes. Die Arbeiten der vorgestellten Künstlerinnen haben den Mädchen Möglichkeiten aufgezeigt, wie sie ihr Inneres in Kunst umwandeln können. Die Mädchen haben erfahren, wie sie mit Fotografie eine weitere Rolle einnehmen und in der Öffentlichkeit eine Position vertreten können. Sie empfanden es als sehr wertschätzend, ihre Werke in der Öffentlichkeit auszustellen.
Ein Zitat eines Mädchens war, nachdem der Lebenslauf von Hannah Höch vorgestellt wurde: „Wird man dann auch im Jahr 3000 über uns berichten, dass da Künstlerinnen eine Ausstellung gemacht haben?“
Das Projekt war ein großer Erfolg und für die Teilnehmerinnen sehr „empowernt“, da in hohem Maße auf Partizipation und die Bedürfnisse der Mädchen geachtet wurde. Die Resonanz auf die ausgestellten Bilder war durchweg positiv bis begeistert. Solche Bilder, insbesondere von Mädchen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte, sind nicht oft zu sehen, daher ist es eigentlich schade, dass die Bilder nur in Gladbeck ausgestellt wurden.
Für weitere Projekte mit der Zielgruppe wäre es wünschenswert, Künstler*innen of Color kennenzlernen, für mehr Identifikationsmöglichkeiten und unterschiedliche Perspektiven. Auch Diversität in Bezug auf Repräsentation von unterschiedlichen Körpern, Lebensrealitäten und Kontexten kann immer nur bereichernd sein.

Lina Matzoll

Projektleitung, Kooperation & Förderung
Leitende Referentin: Iris Wolf
Pädagogische Begleitung: Lina Matzoll
Teilnehmerstruktur:  12 Mädchen* zwischen 10 und 13 Jahren
Projektzeitraum: November 2018 bis Februar 2019
Ort: Gladbeck
Das Projekt fand statt in Kooperation mit dem Internationalen Mädchenzentrum Gladbeck e.V.statt.
Ermöglicht wurde das Projekt durch das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein Westfalen.

Am 16.11.2019 wurde das Projekt mit dem Dieter Baacke Preis 2019 in der Kathegorie F|Sonderpreis "Sei frech, wild und wunderbar!

Aus der Pressemitteilung:
Mehr als Selfies: Inspiriert durch berühmte Foto-Künstlerinnen experimentieren Mädchen mit der eigenen fotografischen Umsetzung von Gefühlen und Aussagen. Zunächst geht’s ins Museum – dort begegnen sie Werken von Hannah Höch, Sibylle Bergemann und Cindy Sherman. Welche Gefühle lösen die Bilder aus, welche Stimmungen geben sie wieder, wie wurde das umgesetzt? Für einige Mädchen war es der erste Museumsbesuch überhaupt. Anschließend setzen sie – medienpädagogisch unterstützt – selbst fotografisch ihre eigenen Ideen um. Die Methode zeigt, wie eine kulturell orientierte Medienarbeit Kinder vielfältiger Voraussetzungen dazu anregt, ihr von klassischen Selfies geprägtes Spektrum der Inszenierung und des Selbstausdrucks zu erweitern. Die Fotos wurden als Fotoausstellung und als Buch der Öffentlichkeit präsentiert, wodurch die Mädchen zusätzlich Selbstwirksamkeit erfuhren.

Dieter Baacke Preis – Die bundesweite Auszeichnung für Medienpädagogische Projekte:
Der Dieter Baacke Preis richtet sich an Projekte außerschulischer Träger (z.B. Jugendzentren, Kindergärten, Träger der Jugendhilfe oder Familienbildung, Medienzentren und Medieninitiativen) und Kooperationsprojekte zwischen schulischen und außerschulischen Trägern. Die Projekte sollten im Vorjahr entstanden sein oder im laufenden Jahr bis zur Bewerbungsfrist beendet sein. Bewerben können sich Institutionen, Initiativen oder Einzelpersonen mit innovativen, originellen oder mutigen Projekten zur Förderung einer pädagogisch orientierten Medienkompetenz. Bewerbungsschluss ist der 31. Juli des laufenden Jahres.
www.dieter-baacke-preis.de

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